BROKALHAUS

Das intermediale Kunst-Projekt

 

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Eine Handvoll verstreuter Monologe auf das Feld des Seins

von hwmueller

 

 

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Auf dem Berg


 

Ich stehe auf einem Berg.

Ich habe einen langen Aufstieg hinter mir.

Müdigkeit?

Wozu?

Es ist Nacht. Die Sonne hat nichts vergessen, sie kennt den Weg.

Man zähle nur die Stimmen. Man denke nur an das stumme Orchester.

Die Steine stimmen ihre Instrumente.

Ich habe darüber nachzudenken, was ich getan habe.

Kein Mut. Keine Verzweiflung. Keine Bananenschale.

Und das Glück kommt ja noch. Absteigen.

Sich einfach fallen lassen.

Keine Rechnung mehr bezahlen.

Endlich frei sein!

Mit den Gedanken die Drachen steigen lassen.

Und kein Gewissen.

Was habe ich getan?

Ich bin doch jetzt ein Anderer.

Hier oben.

Wer soll schon hier mit konkurrieren?

Dem liegt die Kündigung auf dem Tisch bevor er wieder zu Atem kommt.

Ja, stell dich nur breitbeinig vor mir auf.

Ich bin gut genährt und ausgeruht. Die Steine singen nur für mich.

Aber wer traut sich schon?

Diese Qualen, der Verzicht, der…

Ich freue mich schon auf die schöne Aussicht.

Am Morgen. Nach dem Schlafen. Nach den Träumen…

Kinder?

Fehler?

Nein, einfach springen.

So einfach ist das?

Am Ende stehen wir Alle vor der gleichen Tür.

Nur wer wagt, anzuklopfen?

Wer wagt einzutretten?

Wer aber fürchtet sich vor den Wächtern der Moral?

Die Welt ist voller Billardkugeln und ich bin das Kö, ihr lustlosen Golfer am Altar der Rechtfertigungen.

Ich bin der einzig Trunkene unter euch Kostverächter.

Ja, wer schneidet sich schon freiwillig die Haare ab, ihr weinerlichen Vollkasko-Samorei?

Ihr wart einer von einer Millionen.

Wo also ist euer Mut geblieben?

Habt ihr euch vorbei geschummelt?

An all euren Brüdern und Schwestern?

Und dann?

Dann habt ihr die Ambivalenz zur Tugend erhoben.

Euren Gott der Gleichgültigkeit zum Krieger des Allumschlingens gemacht,

des Erwürgens jedes Individuum.

Was faselt ihr also immer noch über die Liebe?

Wie ihr da sitzt, wie fette Schweine auf dem Siegerpodest, spuckt herab auf die Trostpreise.

Ihr nennt es Mitleid.

Ich nenne es Ambivalenz.

Weltflucht.


 

Im Wald


 

Ich stehe im Wald und sehe vor lauter Bäumen meinen Schatten nicht. Das fahle Licht spaltet mir das Hirn in 4 Teile, als wäre ich ein verirrter Kontinent. Eine Insele von Allem befreit, umschlossen von neidlosem Wasser. Es trennen uns nur das kalte Nass, du mossebehangene Schöne, vernahm ich doch deinen Ruf und spürte ganz tief unter Gayas Haut die Umarmungen aller Wurzelstämme.

Der Wald ist nie allein!

Überall ist Mittelpunkt und niemand will die Kronen. Jeder ist ein König, an Pilzen reich die Königin.

Elfen, Gnome und andere Masken wandern um die Wette, denn es ist immer Frühling.

So schwimme ich durch freundliches Laub, ohne Arg und frei von Willen in alle Richtungen dir entgegen.



 

Am Strand


 

Ich stehe am Strand. Meine Füße mit Schuhen aus Sand sind warm, zart und verliebt. Ein leichter Wind ruft vom Meer und trägt den Zucker meiner Vanillehaut ins Landesinnere. Die Gedanken folgen der Linie am Horizont, als hätte es nie einen Zweifel gegeben.

Niemand geht über das Wasser, es spiegelt sich nur die Sonne vor Glück. Ohne Grund, ohne Halt sich dem Nichts, der Weissagung und der Urangst entgegen zu stellen und all das Schöne und noch nicht Begriffene einzuatmen und eine Melodie zu formen, die der Bogen über die Saiten des Horizontes streicht, um eine Zukunft zu feiern, die beständig darüber wacht, ein glücklicher Mensch zu sein.

Nichts ist umsonst, nichts ist sinnlos, das Nichts ist leer und unendlich klein zwischen den Brauen meiner Augen.

Ich winke dem trunkenen Schiff zu, erkläre den Leuchtturm zum Sieger.

Der graue von stürmischer Sehnsucht zerfurchte Bart des Steuermannes

verdeckt das gegerbte Gesicht mit den leuchtend blauen Augen, die mich erkannt einen väterlichen Gruss mir just senden, als ich mich drehte, um meinen schwermütigen Gefährten lebe wohl zu sagen.

Im Zug


 

Ich sitze in einem Zug, der mich nach Hause bringt und horche, lausche dem monotonen Klappern der Räder auf den Schwellen nach. In diesen natürlichen Rhythmus mischt sich das zaghafte Brabbeln eines Kleinkindes, gefolgt von dem Zischlaut der automatischen Tür. Das ganze wird subtil überlagert von quirligen Gesprächsfetzen zweier Damen im hinteren Bereich des Abteils. Harte Sohle tackern immer mal wieder auf dem Kunststoffboden. Das Quarken eines Kopfhörers mimt den Generalbass und ein anderes Handy führt kontrapunktisch seinen Nachrichteneingangston entlang der Sitzreihen. Dann: wie ein Donner brettert ein zweiter Zug vorbei.

Ich tauche in diese Komposition ein, die weder zufällig, noch beliebig, einer unsichtbaren Partitur folgt. Sie hat für diesen Moment weder Zukunft, noch Vergangenheit und ist in ihrer Bestimmtheit richtig, stimmig und vor allem absolut.

Diese freie Improvisation der Welt eröffnet in mir den Wunsch ein Teil des Orchesters zu werden, sich ihm hinzugeben und ohne eigenen Willen, weder solistisch noch kompositorisch, selbstlos in diese feinen Verstrickungen aufzugehen.

Ich trommle mit meinen Fingerkuppen auf der Ablage. Schüchtern und zaghaft, kaum hörbar. Doch plötzlich, wie aus dem Nichts, so als fiele ein schwerer Vorhang, wird mir mein Tun bewusst, ausreichend, dieses Werk der Natur plötzlich zum Stillstand zu bringen. Es scheint mir, dass alle Musiker innehalten und mich, ob meines falschen und dissonanten Tones, verwirrt anstarren. So also falle ich wider meines Willen auf mich selbst zurück und beginne die Szenerie zu reflektieren, während ich mich mehr und mehr von dieser Welt des echtzeitigen Flusses verabschiede. Mein Plus rast, ich höre nur noch dieses Pochen, das immer höher steigt, bis es im Hals mein ganzes Sein übertönt.

Ich atme tief, zähle bis zehn und fange so behutsam meine Panik ein, auch indem ich mich selbst im Fenster gespiegelt sehe. Ich, ich, ich. Das bin ich. Im Hintergrund dieses Porträts werden gerade die Kulissen für den nächsten Akt verschoben.

Ich war aus der Zeit gefallen.