Der Fluchtpunkt
Die Kunst des Erscheinens.
Ein Multilog für eine Person.
von hwmueller
Eine leere Bühne.
Ein Karton.
Ein Schauspieler tritt auf und schaut eine Weile ins Publikum, geht zum Karton, öffnet diesen, beginnt dann langsam, ohne steten Fluss aber mit Pausen und anderen Zweifeln zu sprechen, schaut manchmal auf das Blatt.
Ich stehe hier.
Ich sehe euch.
Ich sehe Alles!
Absolut Alles: Ja!
(schaut in den Karton)
Ich erkenne Dich.
Du bist mein Fluchtpunkt.
(Blinzelt ins Publikum)
Aber?
Sieht man mich?
Sieht man, wie ich bin!
Wie ich wirklich bin?
Ein Körper! Klar, was sonst?
Ich meine darüber hinaus.
Also,...
Ich bin hier, die Flucht, die Zeit..
Die Bewegung, der Zweifel…
Und dort?
Das Dort, der Ort, der Punkt.
Voller Gewissheit und so klug.
Der Punkt, der letzte kleine Punkt:
Die Augen, die Tür…
Und! und Aber:
Das DA ist bestimmt, dort.
Bleiben, verharren, aushalten.
Hier wird es passieren,
oder genauer ereignen.
Es. Das DA.
Daher verharren wir für ein paar Minuten.
(überlegt)
Kommen wir also zur Sache.
Er nannte sich H.
H, wie das englische aitsch.
Mit einem lang gezogenen "iii"
Aiiiiitschsch. Wie Wasser auf heiße Asche.
Aiiitschschschschschsch….
(wischt sich die Spucke weg)
Eine Heroinjunkie nannte ihn so.
Das ist mein aitsch, sagte sie immer.
Er nannte sie Purple Rose.
Sie brachte den Blues zum Lila.
Zum tiefen depressiven Violett.
(Schaut um sich, überlegt)
Er, aitsch also H, hat mir von ihr erzählt.
Breit ausgestreckt auf seinem Bett.
Damals in unserer gemeinsamen Wohnung in HAMBURG.
(Schaut um sich, überlegt)
H hatte ihr immer Schmerzmittel besorgt.
Wenn sie auf Entzug war.
Einen Affen schob.
Einen Affen schieben.
Nannte man das.
Einen Affen schieben.
Hin und her, hospitalisierend.
An der Klagemauer der Suchtgötter
Aus Kolumbien oder Afghanistan.
"Gleich kommt mein aitsch,
Aitsch holt mich raus aus der Hölle".
Hat ein Ticket dabei.
Eine kleine Flasche: Valoron.
Der Arzt verschrieb ihm dieses Schmerzmittel.
Ohne mit der Wimper zu zucken.
Auf Rezept.
H hatte die Operation gut überstanden.
Schmerzen?
Nein!
Aber das musste der Arzt ja nicht wissen.
Jede Woche eine Pulle Valoron.
In 10 Minuten ist der Schmerz vorbei.
(Musik, z.B. Klaus Schulze: Mirage. Er geht zum Karton, nimmt einzelne Blätter heraus, überfliegt diese und bleibt bei einem hängen)
Unsere Gedanken werden sich verfangen.
Ich weiß. Ich weiß, ich weiß. Ihr wisst. Alle wissen.
Das nennen wir mal Verwirrung.
Allgemeine Verwirrtheit, oder ….
Oder vielleicht, ein kleines Schicksal, ein stilles Du.
Ein kurzes Zwinkern verspannter Nerven.
Aber, wir werden sein. Absolut Sein.
(Legt das Blatt zurück. Mit Dynamik)
Niemand kann sich von aussen sehen.
Sich mit eigenen Augen auf Schritt und Tritt beobachten.
H konnte es. Er schlüpfte in den Kopf des anderen.
(Mehr Dynamik)
Purple Rose war ein Junkie und hatte nie Geld.
H lernte sie im Cafe Adler kennen.
Das war die inoffizielle Drogerie.
Damals.
Heroin wurde mit Gold aufgewogen.
Sternenstaub, reines Heroin war selten.
Aber der Flug war sauber, stilles Glück.
Der Aufprall auf der morgendlichen Realität.
Härter, gnadenloser wie ein Calvinist mit Borderline.
Und diese Schmerzen!
Diese verfluchten Ganzkörperschmerzen:
Heiliger Sebastian! Körper aus Glas.
Körper verbrannt zu Asche.
H, H, aitsch, wann kommst du?
Ein großes Schschsch durchströmt den Leib.
Ach..
(Stille. Schließt die Augen, holt tief Luft)
Noch mal:
Ich bin hier und bewege mich.
Ich bin die Zeit, ihr seid dort, der Ort.
Zusammen sind wir Ort und Zeit.
Das Ereignis!
(Er zuckt, dann ruhig)
Das kleine Fläschchen war überlebenswichtig.
Salbung, unberührter, fliessender Sex mit der Nadel.
Kundalini.
Langsam rein, nicht ganz, der Körper zittert lauter Vorfreude.
Dann wieder raus, den Schuss hinauszögern.
Der einzige Moment der absoluten Freiheit und Selbstbeherrschung.
Der Tanz mit dem Bären.
Ich, Du und ÜberIch.
Purple Rose zitterte, zitterte wie ihr Baby, das Hunger hatte.
Ihr Baby, es das Schreien aufgegeben hatte.
Es lag im Zimmer, nebenan, im Dunkeln.
Hatte das Hungern gelernt.
Valoron macht süchtig.
Man verlor die Haare.
Was machte das schon bei einer Heroinsüchtigen?
Ohne Haare und ohne Zähne.
(Hält inne)
Berührt Sie so was? Schreckt Sie das ab?
Eine Heroinsüchtige mit Baby?
Das ist Realität.
Hamburger Realität!
(Mit einem schamhaften Blick zum Boden spricht er als sei dort jemand)
Nochmal zum Anfang: "Jetzt!"
Ohne ein Vorher, einfach anfangen…
Am Ende der Punkt, die Bestimmung.
(zum Publikum)
Klar.
Ihr! Sie! Sie, Sie, Du und Du. Ich, ich…
Klangkörper meiner Gedanken,
meiner Geschichte, meiner Vorstellung…
Ein Baby von einem Junkie.
Mich berührt das nicht mehr.
Ich höre täglich Nachrichten.
Ich bin abgestumpft.
Aber,...
(Zornig)
Sie war gerade 14 und dann son Idiot holt sie sich an die Nadel und ins Bett.
Später dann, allein, allein, alleinerziehend…
Besser als auf den Strich.
Sie suchte einen Ehemann, dann konnte sie sagen, ich bin Ehefrau.
Ich bin keine Niemand.
Das Amt ließ sie dann in Ruhe.
Sie konnte das Baby nicht trösten, sie suchte ja selbst noch nach Trost.
Und H war Trost, brachte den Trost…
(Geht zum Karton, überfliegt einige Blätter)
H hat mir das alles erzählt.
(kurz abwesend)
Kommt mir nahe, näher, am nächsten…
(konzentriert)
Gretchen im Kerker…
H, Heinrich, mir graut vor dir.
(Gedankensprung. Zum Publikum)
Ich erzähle es ohne Emotionen.
Zu den Gefühlen auf der Bühne komme ich später.
(zu sich) Beherrsche dich, Alter…
B-e-h-e-r-r-s-c-h-e dich!
(Gedankensprung. Mit leichtem Tempo)
H lag noch breiter auf dem Bett.
Selbstgefälliger konnte keiner.
Ich höre noch immer diese Geschichten.
Diese Geschichten, blablabla ..
Ein Karussellpferd wurde ich in seinem Kosmos.
Jung sein, keine Verantwortung.
Alles ausprobieren!
Grenzgänge.
Ich hasste seine Selbstgefälligkeit.
Aber ich liebte seinen Mut, seine Schönheit.
Er war schön. Oh ja! Sehr schön, so zart.
Nachdenklich, tiefgründig, nicht wie ein schwarzes Loch.
Keine schwarze Kathedrale, eine weisse, eine Sonne.
Ein Guru ohne Jünger.
Seine Botschaft:
Die Befreiung des Körpers durch den Körper.
Er sprach nie von seinen Eroberungen.
Die Opfer sprachen für sich.
Er nannte sie alle Purple Rose.
Purpurne Schnecken.
Seine Kardinalstugend:
In Demut dienen…
Er surfte nicht nur einen steilen Ritt auf den Wellen der Bedeutungen, er war vor allem der Grossmeister der Ambivalenz am Strand der Gutherzigen.
Für ihn wurde Denken zur Droge und jeder der ihm nahe kam, wurde infiziert von der heillosen Ungewissheit, dem Zerfliessen der Konturen auf der Netzhaut seiner Sprache.
Man wollte mehr und mehr.
Sich dem Strudel hingeben und sich verlieren. Ins Unbestimmte, in die Liebe.
Irgendwann lag er wieder neben einer Novizin im Bett und zerfaserte jede Gewissheit in endlosen Zweifeln.
Diese Vervielflung machte uns größer und reicher an Weisheit und wir liebten seine Liebkosungen.
(Ruhig erklärend)
Sex war damals dem Katholiken vor der Ehe verboten.
Er hasste die Ehe.
Seine Eltern hatten eine.
Und die war gar nicht gut.
Katholisches Amalgam.
War nicht zu trennen.
Und giftig. Wegen Blei. Senkblei.
Er rächte sich. Stieg auf. Bis Aids kam.
Aids-Engel Luzifer.
(Folgt stumm einigen Gedanken, dann plötzlich)
Ob ich ihn liebte?
Wie ein Mann eine Frau?
Oder eine Frau einen Mann?
Eher beides….
Ich hatte Angst vor ihm.
Seine übertriebene Körperlichkeit.
Er benutzte die Frauen, die Männer.
Die Frauen ihn. Auch die Männer.
Er benutzte, manipulierte Alles, er schaffte Wirklichkeiten.
Für ihn war die Welt vor allem Dinglichkeit.
Er verfügte über die Dinge.
Die Dinge, die Seelen genossen es: verführt zu werden.
Sein Dienst mit der verbalen Peitsche.
Wie ein gefräßiges Monster suchte er seine Opfer,
Hinterließ Schmerz, Erlösung, Selbstzweifel: lustvolle Auflösung.
Mit einem Wort: Sehnsucht.
Die Angst vor der Einsamkeit.
Für mich warst du der Andere in mir.
Mein Selbsthass.
(Langsam und besonnen)
H verschwand eines Tages.
Ging in den Süden, dem katholischen Süden.
(singt)
La Paloma ade.
Der Wind weht von Süd
Und treibt mich hinaus aufs Meer
(lächelt, dann ernst)
Statt Miete hinterließ er diesen Karton.
Ich habe ihn von einem Umzug
Von einer Stadt zur anderen mitgeschleppt.
(wütend. Gespreizter Satz!)
(an Alle) Er verfolgt mich quasi wie ein Stalker, …
(an ein imaginäres Du) Mit deiner widerlichen Schleimspur, ..
(an Alle) spielt den Beleidigten, wenn man ihn nicht beachtet.
Ich weiss, es ist das schlechte Gewissen. Oder nur die Angst vor dieser Art der Präsenz, wenn ich ihn öffne und alles wieder da ist, diese erschöpfende Wachheit, diese Weitsicht, diese Weisheit und diese Schlaflosigkeit.
Wir, also Ich verbringen die meiste Zeit in einem Dämmerzustand. Erst ein Ereignis, eine besondere Situation, ein Schicksalsschlag, ein Unfall erweckt uns für einen Moment. Jenem Moment, nachdem wir uns immer wieder sehnen und gelegentlich wiederfinden werden. Dann sind wir da, sind wir präsent und das Herz rast, rast mit Höchstgeschwindigkeit ins Jetzt. Was Ereignis ist, kann alles möglich sein. Es kann auch DU sein.
(Holt tief Luft)
Heute habe ich ihn geöffnet.
Und heute, …
Heute wurde mir klar, warum alle ihn aitsch nannten.
Ich begann ihn zu hassen, nein…
(Hält inne, als ob er was falsches gesagt hätte, zu sich selbst)
Du elendes Zeitloch:
Ich beginne dich zu hassen.
Wollte damals schon, also heute, ihn töten.
Das Schämen beenden.
Deine Texte verraten deine Spur.
Und ich werde dich finden, Du mein Halbsatz.
Aber diese unerträgliche Ambivalenz.
Dieses wabernde Sowohl-als-Auch.
Der diskrete Raum zwischen Entweder oder…
Wie kann ich dich fassen, wie begreifen?
Ja, ich weiss, der, unser Zweifel.
(Hält inne. Überlegt. Hebt einzelne Blätter gegen das Licht, liest)
Ich roch an meinen Fingern ihr ungeschicktes Parfum doch ich wollte mich auf ihre weiche Haut sie war jünger und nicht nur in ihrem unterhaltsamen Gang ich sollte sie wiedersehen Stunden um Stunden vergingen ohne dass ich mich habe fassen können eingetaucht in ein Meer von stummer Freude durchbrach ich meinen Willen zu leben die Zeit spricht mir die Lust von den Beinen nicht Angst und erwarten des Wachen nein Müdigkeit die mir das Warten Namen die Freude die Musik Thomas liebt mich um mich und sich zu töten ich kann den Wink die Pflicht zum Mann nicht in mir tragen ich werde zum Löwen in der Wüste gemacht der Pavian bückt sich demütige und starre meinen Hals aus Angst doch denke ich an sie die Fehler aus meiner Hand ich lass mich nicht zum jünger machen ich liebe diese Rosen(12)
H. war ein Sprachkrüppel.
Ein Sinnamputierter.
Sein Kopf war für all die Gedanken zu klein.
Damals war ich sein fehlender Halbsatz.
Seine Denkprothese…
Seine Sätze sind auf halber Strecke im Kopf stecken geblieben,
Der Rest blieb für andere stumm.
Nicht für mich….
Aussen- und Innengleiche…
Equinox
(nimmt ein Blatt aus dem Karton und liest)
… also zeig mir den Menschen, der einen anderen versteht, wenn er ihn aber begreift, halte ihn als Untertan, wenn sein Verstand es ihm zulässt…
Er dachte die Welt, die Welt dachte ihn.
Die Welt, die immer dachte, kannte keine Grenzen.
Er wähnte sich als Weltgeist.
(zur Seite)
Die Mädels liebten das!
Das unbeholfene Genie..
Das Genie zwischen den Beinen.
Stottern weckt den Mutterreflex.
"Ach, wie süß…"
Intellektuelle Genpower.
The victim takes all.
(Wieder zu sich selbst)
Ich weiss, du hast auch mich gedacht.
Mit unseren siamesischen Sätzen…
(Zum Publikum. Aufgeräumt dozierend)
Nun gibt es nichts intimeres als den stummen Gedanken
Eines anderen zu denken oder auszusprechen.
Aus dem Schweigen in die Sprache bringen.
Sein ist Wahrgenommen werden.
Jetzt denken Sie bitte nicht falsch von mir.
Sie wissen doch, was ich meine!
Der Subtext, dass, was ich meine…
Der Subtext…
All die Ach's und Oh's.
Einfach mal eingefügt..
Hingeworfen im Vorbeigehen.
Die blinden Passagiere.
"Ach!”
Ach, ich habe etwas vergessen..
Ach ne,....
Das Wir-Sein geht nur ohne Text.
Der Sinn trennt uns.
Meinung gegen Meinung.
In den "Ach's" fahren die Gefühle von einem Ende zum anderen.
Die kennen keine Haltung, sie sind immer "Jetzt".
Sie sind die Engel, die Botschafter…
(Schaut in die Runde)
H. sprach oft nicht, überlegte, geistesabwesend, dann dieses Ach.
(voller Wut) Dieses übermächtige Ach.
Er liebte dieses Ach.
Dieses selbstverliebte Ach.
Ach, Du!
Ach!
Du, du, du.. Ach!
Teil 2
(Pause.Überlegt, dann plötzlich)
Im Café Adler lernte H auch Jürgen kennen.
Oder besser, Jürgen lernte H kennen.
Denn Jürgen schwieg, redete fast nie.
Ein Schweiger.
( nimmt ein Blatt und liest)
Im undurchdringlichen Nachtnebel flirrender Glückstauben erschien mir dieser alterslose Mann mit dem erleuchteten und gleichsam abwesenden Blick wie eine Heiligengestalt aus einer anderen Zeit.
Kein Jünger, keine Gemeinde lauschte seinem lautlosen Murmeln.
Und wenn, dann kam aus seinem Tausendjährigen Schlaf nur ein tiefgründiges Hmm.
(Zum Publikum)
Dieses Hm war knapper, dunkler und um Inkarnationen weiter wie das Ach von H
(Liest)
Jürgen war Orgelbauer und hatte ein Wissen, dass mindestens bis in die ersten Regale der Bibliothek zu Alexandria gereicht hätte.
Er war für uns ein Universalgenie, ein daVinci mit Joint.
Manchmal, wenn sein verbaler Autopilot abhob und Jürgen für Momente aus den Armen von Mary Jane gerissen wurde, dann kamen mit einem unterirdischen Bass die vielen Hms etliche Weisheiten zu Tage, die uns eine Ahnung von dem Fieber gaben, dass dem tanzenden Ich über die Grenzen die Wahrnehmung hob.
Aber im Cafe Adler nahm niemand diesen Tiresias wahr, wie er dort hinten im fettesten Sessel des Cafes in sich versunken saß. Dieser sprach, sprach, zu sich, in sich hinein.
Er war sich selbst ein tönerndes Fass ohne Boden.
(Zum Publikum)
H aber hing an seinen Lippen.
Und wenn Jürgen Beziehungen zwischen der Musik, Malerei und der Quantenmechanik herstellte, dann war ihm klar, Welt ist Wirklichkeit, Wirklichkeit seiner Vorstellung.
Selbsterzeugende Macht!
(Liest)
Dieser Buddha hatte Einsichten und Einfachheiten, die so verblüffend wie wahr waren.
Für ihn war der Blues die Vorstufe zur tödlichen Melancholie, dem Violett, dem Lila.
Er hatte den Blues zum Ende zur Vollendung gebracht: Er hatte eine Harmonielehre für den Blues geschrieben. Statt Noten legte er über das Griffbrett der Gitarre Tiersymbole. Die Töne wurde an den Schnittstellen markiert und ähnelten den Sternbildern am Nachthimmel. Wie verblüffend einfach die Technik war, zeigte sich, wenn man die Tiere über das ganze Brett verschob und Geschichten erzählte. So konnte der Löwe den Affen jagen und die Giraffe über die Saiten stolzieren. B.B.King war mit einen Male für jeden nachspielbar..
Jürgen hatte es auch hier nicht an Gründlichkeit fehlen lassen.
Für ihn war die gesprochene Sprache um keinen deut ungenauer wie die Mathematik.
Mit den Vektoren des Geistes zirkelte er
das innere Schweigen über die letzten Dinge ab und barg das Strandgut der Geschichte für alle sicht- hör- und fühlbar..
Nicht zu, sondern zum Grunde gehen, weit unter dem Meeresspiegel. Auf dem sich Alles begründet.
Während auf der tosenden Wasseroberfläche die Halbwahrheiten einen Tanz um das goldene Kalb aufführten, lagen die Hände dieses Sohnes der heiligen Mary noch gefaltet um das Zigarettenpapier und drehten die Gebetsmühle zu einer lang geschwungenen Tüte und diese wurde einer Hostie gleich mit einem kurzen Tupfer der Zungenspitze gefinnished.
Er inhalierte den ersten Zug bis in die Tiefe seiner Lungenflügel und hob einem hauchendem Strom ab: Du kannst nicht stricken?
Hm.
Dann stricke jeden Tag eine Masche.
Am Ende hast du einen Pullover.
Hm.
(Zum Publikum)
Für Jürgen waren die Dinge nur provisorisch verbunden. Zeit hat keine Macht.
(Liest)
Seine Gedankensprünge waren die einer Spinne, sie verknüpften eine Sinnebene mit einer anderen, unsichtbar, unverbunden und seien sie auch noch so weit voneinander entfernt.
Jürgen der Inbegriff der Relativität.
Deswegen war er auch so mager.
So ein trunkenes Schiff konnte in keinem Supermarkt einen vernünftigen Einkauf machen.
(Zum Publikum)
Ich weiss noch genau den Tag im Hochsommer, als du ihn mitgebracht hattest.
Der Espresso von der Herdplatte blubberte noch auf unseren Balkon.
Es roch nach zweiter Röstung und verbrannter Matratze.
Da der Schweigsame und dort der Halbsatz.
Eure entschleunigte Konversation löste bei mir ein total entkoppeltes Zeitgefühl aus.
Ich habe das später bei meiner Tochter noch einmal erlebt, als sie ein Baby war.
Mütter haben andere Uhren, leben in anderen Zeiten, sind verschwunden im Zeitloch.
Dieser Nachmittag im Sommer.
Stille?
Nein, eher Andacht.
Beide Köpfe brannten.
Auch das Shilum.
THC beschleunigte die Phantasie und bremste das Sprechvermögen.
Im Grasnebel wirkten die beiden größer, komplexer, magischer.
Ich sehe es noch heute vor mir, als würde es gerade geschehen.
H beugt sich vor, als spräche er mit einem Schwerhörigen.
Diese konspirative Geste galt mir.
Ja, lieber H, ich wusste gleich, das war nicht für mich bestimmt.
Du wolltest mir meine Stellung verdeutlichen.
(liest)
Zwischen mir und dem Orgelbauer bestand ein Einvernehmen. Wir verschlüsselten unsere Konservation, sie galt uns, nur uns beiden. Unsere verschränkten Gedanken brauchten keine Zustimmung. Ein kurzes, verzögertes Schweigen reichte.
(Zum Publikum)
Ja, Du Egomane, ich aber lauschte dir, du mein Seiltänzer auf unserem gemeinsamen Balkon, in Hamburg, im Hochsommer. Ich habe mich in deine Gedanken hinein gebohrt.
(spielt diesen Dialog)
H sagte: Ist die Schwingung, also die Musik Vorstufe zum Materiellen oder die Geburt des Materiellen aus der Dissonanz?
Was dann folgte, war für meine Wahrnehmung bahnbrechend.
H lehnte sich zurück. Und eine Ewigkeit später:
Jürgen brummt ein kurzes: Hmmm.
H, viel später, als hätte er Jürgens Antwort in alle Sprachen der Welt übersetzt: Ach!
Wieder dieses universelle Ach!
Jürgen brumme sein: Hm.
Lange Pause, Zug am Shilom, ein Schluck Espresso, dann erschreckend unspektakulär sagte Jürgen: Sowohl als auch.
H darauf mit leichtem Erstaunen: Ach?
Ich traute mich nichts zu sagen.
Ich war ja nicht anwesend.
Und die geringste Erschütterung hätte dieses fragile Glashaus bersten lassen.
Jürgen: Hm, es kommt darauf an.
H mit einem skeptischen und langgezogenem: Ach!?
(liest)
Auch ich traute mich nicht nachzufragen.
Doch Jürgen überzeugte mich mit seinem: Hm!
(Zum Publikum)
Dann rutschte es aus mir heraus: Aaach!!! .
Stille!
Beide Augenpaare auf mich gerichtet.
Ich stotterte:
Musik ist schon Materie oder besser in die Materie eingeschrieben, in den Schwingungen ist die Materie also die Luft in Wellen geformt, der Schall aber erst durch die Erzeugung durch eine Idee oder Komposition…Musik erklingt im Hören, sie wird aus Schwingungen…
Hier stockte ich….
H fuhr mich fragend an: Ach?
Jürgen blieb stumm..
Ich stotterte weiter.
Das Ach von H lag noch schwer über dem Balkon. Damals im heißesten Sommer. In Hamburg.
Ich erzählte von einem Musikerfreund, einem Gitarristen.
Den haben sie aus jeder Band rausgeworfen.
Ich machte eine Kunstpause.
Wollte den dramatischen Bogen überspannen.
Keine Chance gegen die beiden steinernden Sphinxen.
Stille.
Ich musste also durch das Höllentor:
Dieser Gitarrist hatte soviel negative Spannung, das, wenn er im Ensemble mitspielte, regelmäßig die Elektrik versagte.
Seine Frequenzen im Kopf überlagerten sich mit denen aus den Vorverstärkern zu Störgeräuschen, den sogenannten Interferenzen und kamen verstärkt komplett als Rauschen oder es brannten die Sicherungen durch..
Stillere Stille und Jürgen und H mit halboffenen Mund.
Da waren Konzerte natürlich komplett hinüber. Ihr kennt das Geräusch von Rückkopplungen? Diese in allen möglichen Tonarten. Gleichzeitig. Unerträglich.
Noch stillere Stille.
Nur der schwere Atem von Jürgen und H.
Dann aber, beide in bester Synchronisation gleichzeitig einem Ach und einem Hm.
Die Verschmelzung von Materie und Antimaterie. Ein Achm! war geboren!
Ein neuer Stern, ein neuer Kosmos!
Nichts konnte mich in diesem Moment glücklicher machen.
Du hast mich wahrgenommen. Mich!
Mich Wenigkeit.
Esse est percipere.
Sein aus Differenz.
Endlich.
Endlich.
Ach!
Teil 3
(Lange Pause. Nimmt ein Blatt und liest)
Das Blatt welkte trotz des Hauses, das im Sommer in voller Blüte stand. Ein Fenster, weit und offen, zog seicht seine Augen über das Fallende. Konnte hier und da die Richtung lenken und sog es dann, wo es keiner mehr erahnte, in sich hinein, ins Zimmer, durch den Flur, zum Nachbarn.
Eine Zeit unendlichen Erwachens strich langsam an den Fassaden empor, rankte sich zu des Nachbarns Fenster, welches mit Eröffnung lockte und fiel wieder in tiefen Schlaf, just da, als das Blatt zurück in die Welt sich fand.
Pubertärer Eiertanz um die in sich selbstverliebte Genialität.
Das musste er geschrieben haben.
Nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen wurde.
Nach dem Unfall.
Danach hatte er sich verändert.
Egokonzentrisch….
Das Motorrad warf ihn doppelt aus der Spur.
Ich bin nun ein Komet ohne feste Bahn,
Waren seine bitteren Worte.
Aus dem Fahrzeug geworfen, wie Franz Biberkopf.
Dieses Unglück hatte deine Ambivalenz geboostert.
Mehr, mehr in beide Richtungen
Zum Körper und zum Geist.
Deine Begabung bestand nun darin,
Die beiden Kontingenzen in einem wenn auch wenn übersteigertem Ich zu vereinen.
Oder wurde dein Körper zu deinem Du?
Oder umgekehrt?
Du hattest verstanden, dass Körper und Geist nur jeweils die andere Seite deines Spiegels war.
Es war grausam, das mitansehen zu müssen.
Du bist immer in das Cafe Adler gegangen.
Das Café Adler wurde damals Dein zweites zu Hause.
Wenn du nicht daheim sein wolltest.
Vielleicht bist du vor mir geflohen?
War ich dir nicht ebenbürtig?
Vielleicht habe ich deine Erwartungen nicht erfüllt?
Oder war es Scham?
Aber warum?
Mein Halbsatz blieb stumm.
Du hast mich still verlassen.
Das nehme ich dir übel.
(Mit gesteigerter Dynamik)
Damals, in dem ungewöhnlich heißen Sommer.
In Hamburg.
Da begann sich dein Schicksalsrad Fahr taufzunehmen.
Es drehte sich um dich selbst und den immer wiederkehrenden Trennungen.
Dein Leben ein ewig wiederkehrendes Trennen.
In der Drogenhölle Cafe Adler.
Dort hast du dich nächtelang aufgehalten.
In diesem Hasenstall, wie du ihn nanntest.
Dort hast du etwas gesucht, was du nicht in dir selbst finden konntest.
Ich selber habe mich dann nie hin getraut.
Mir waren die Entfesselten zu abgründig.
Kalte Blicke, die Leute dort hatten keine Seelen.
Man nannte es cool sein.
Aber du glaubtest in dieser Unterwelt, das fehlende Teil von dir, dich selbst zu finden.
Da waren auch die leichten Mädchen.
In ähnlicher Mission unterwegs.
Sexuelle Revolution.
Verrucht und amoralisch.
Jeder mit jeder, jede mit allen.
Man dachte:
Wer wirklich moralisch sein wollte,
Der musste das extreme Gegenteil erfahren.
Ohne Licht kein Schatten.
Und der Schatten war die Grausamkeit
So einfach war das.
Für dich…
Letztlich wurdest du immer beziehungsloser.
Und meintest das satte Glück,
Diese dümmlich blöde Übereinkunft
Schweigend, ohne wirkliche Leidenschaft
Eine Partnerschaft zu zelebrieren
Wäre eine Kapitulation vor dem eigenen Ich.
Das gekonnt gespielte Verliebtsein,
War nicht nur ein Vorwand,
Nein, es gehörte zum Spiel
unter dem du selbst am meisten leiden musstest.
Schon mit dem ersten Blick begann die Trennung.
Redramatisierung der Geburt.
Die Frauen wussten es nicht.
Die Freunde konnte es nicht ahnen.
Woher auch?
Du wirktest so hilflos.
Eros ist die kleinere Schwester des Mutter-Instinktes.
Männer fühlen sich nur überlegen.
Einen Behinderten verschont man.
H genoss dann jede Phase dieser Trennungen.
Er machte sie verliebt.
Mit einem toxischen Charme,
Der jede Veränderung überspielte
Der einen Mantel über deine Absichten warf.
Unbemerkt trieb er seine Opfer dazu, dass ihn verließen.
Er macht sich unhaltbar.
Dann konnte er entfesselt leiden.
Und vor allem schuldlos.
The victim takes all.
Schuld waren die Anderen.
(Holt tief Luft. Langsam weiter)
Du sprachst nie über diesen Schmerz.
Dazu war dieser dir zu heilig, zu rein, zu präsent.
Nur das Ach zeigte mir die Temperatur deines Zustandes.
(Liest)
Wir normalen Menschen leben virtuell.
Wir vermeiden jeden Schmerz.
Erleben ihn stellvertretend nur in der Vorstellung,
Mit unserem kleineren Ich. Der Kunst.
Aus sicherer Entfernung vergleichen wir unserer Leben.
Immer mit dem der Anderen.
Spielen Schiedsrichter.
In dieser Zeit leben wir nicht.
Sex dagegen ist Realität…
Trennung Individuation.
(Schaut sich das Blatt an und spricht zu ihm)
Ich weiß noch, wie sich Purple Rose von dir trennte.
Abgemagert über Wochen hast du all die Phasen der Trennung ausgekostet.
Du hast jede Einzelne zelebriert wie eine mystische Opfergabe.
Dein Sterberitual.
(Aufzählung)
Schock - Leugnen - Zweifel - Wut - Wiedergeburt
(Aufzählung)
Schock - Leugnen - Zweifel - Wut - Wiedergeburt
Das Ganze garniert mit Selbstmitleid.
Der ewige Kreislauf der Selbsterzeugung.
Die Achs deiner jämmerlichen Existenz
(spielt jede Phase)
Schock: Ach!
Leugnen: Aaaach…..
Zweifel: Ach!??
Wut: Ach!
Wiedergeburt: Aaaach!!!
(Hält inne, dann…)
Wie er sie verliebt gemacht hat?
(Er nimmt ein Blatt und liest)
Die Befreiung des Körpers durch den Körper.
Die Erweckung der Lust durch Präsenz.
Sie ging vielleicht 5 Meter vor mir.
Geschmeidiger Gang, schmale Hüfte.
Und doch gelingt es mir nicht
Verhaftet ich an den Körpern kleb.
Nieselregen,... Herbst in Hamburg
Sie konzentriere mich auf ihren Hinterkopf.
Steige mit meinen in diesen.
Von hinten, mit aller mentalen Energie.
Und Vorstellungskraft. .
Sie bemerkt mich nicht. Sie ist…
Noch zuhause in ihren Gedanken.
Irgendwo zwischen eben und gleich.
Im Hamsterrad. Noch ohne Display.
Dann stellte ich mir vor:
Ich bin im Zentrum, im Mittelpunkt dieses Kopfes.
Dort wo das Ich wohnt.
(Hält inne. Wird privat)
An dieser Stelle möchte ich schnell etwas einfügen.
Es hat nur indirekt etwas mit dem Stück zu tun.
Ich wohne im Erdgeschoss mit Fenster zum Innenhof.
Ich hatte jahrelang im Dunkeln verbracht, weil ich nicht wollte,
dass man mir ins Zimmer schauen konnte.
Echt unangenehm.
Bis ich eine Spiegelglasfolie drauf geklebt habe.
In diese Monade kann man jetzt nicht mehr hineinschauen.
Aber umso besser raus.
Die Nachbarn waren total verunsichert.
Sie spürten den heißen Atem meiner Augen.
Auf ihren zum Objekt gewordenen Körpern.
Die Mülleimer im hinteren Hofteil wurden immer hastiger benutzt.
Lustig auch zu sehen, wie der Geruhsame sich im Spiegel des Fensters betrachtet.
Jene, die eben nur sich selbst wahrnehmen.
Wie H, also zurück zum Jetzt.
(liest)
Ich bin in ihrem Kopf.
Ich sitze neben deinem schlafenden Ich.
Schaue in alle Richtungen.
Ich bin dein Blick -
Strecke die Arme zu Flügeln aus.
Ich drehe mich wie ein Derwisch um meine eigene Achse.
Mein Gott, was für eine Verwirrung:
Dein Ich erwacht. Erschrocken vom Schwindel.
Aus dem Traum ins Jetzt.
Keine Vergangenheit, keine Zukunft. Nur da.
Da drehst du dich um.
Und da, da stehe ich..
Und ich? Ich schaue beschämt zu Boden.
Denn nun bist du es, die mich jetzt zum Objekt macht.
Und dich zur Täterin…
Jetzt kommt mein finaler Schlag:
Ich schaue hoch und schlage mit gekonnt gespielter Scham die Augen auf .
Erstarrtes Reh im Nieselregen.
Großes Kino!
(Legt die Blätter zurück und überlegt zum Publikum)
Narzismus im frühen Stadium.
Dann dieses beinahe stumme, fast ängstliche, hilfloses, aber erstaunte Ach!
Was aus seinem Mund stotterte, als sie ihn fest in die Augen schaute.
Ja, das war ganz Großes Kino!
Später hörte ich sie täglich weinen.
In deinem Zimmer.
Und ich schlief selten.
Aber H liegt auf seinem Bett und erzählt von seiner Flucht.
Damals aus dem katholischen Korsett.
In der Diaspora in Hamburg als Katholik,
Im protestantischen Hamburg war der Katholik katholischer als der Papst.
Überlebensstrategie: Die Doppelmoral, anders denken als reden, anders mimen als fühlen.
Reine abgehobene Poesie, dann der Subtext eben.
(schaut ins Publikum)
Kommen wir noch einmal zum Anfang.
Anfang? Also zum Ereignis.
Zum Dasein. Zum Hiersein, Zum Wir Sein
(zum imaginären Du)
Du warst längst fort.
Aber ich hielt das gebrochene Wesen in den Armen.
H wie Hamlet, Purple Rose ging in die Elbe –
(Wütend zum Karton)
Du hast uns diese Steigerung des Selbst
als ästhetische Grenzüberschreitung verkauft.
Du hast uns glauben lassen,
Jenseits der Moral einen Dionysos tanzen zu lassen.
Es war aber nur die Leere,
der Verlust und der Überdruss
am größten Geschenk des Lebens: der Empathie.
Die Scham ist die Differenz
Die Erkenntnis eigener Gefühle,
Die man nicht hat. Die haben einen.
Gefühle sind nicht manipulierbar.
Sie sind das Joch der individuellen Freiheit.
Das hatten wir, dass hatte ich geglaubt.
(erschrickt)
Da, da! Sehen Sie das?
(Dreht sich im Kreise, schaut um sich, mit steigender Panik. Aber beherrscht)
Keine Angst, da ist nichts.
Nur ich.
Und ich sehe Sie.
Und Sie sehen nur mich.
Hier drüben…
Das ist real.
(Monotoner Sprechfluss)
Ich wollte immer sein wie er..
Er war mein Fluchtpunkt.
Der Punkt auf den mein ganzes Sein hinauslief.
Die Flucht vor meinem Selbst, seinem Ego.
Wenn er präsent war, absolut präsent.
Also hier und jetzt…
Nicht Ich-Denken.
Ort und Zeit zusammengefasst: da sein.
Manchmal hörte ich auf zu sprechen.
Alles um mich herum wurde es ganz ganz still.
Alle und Alles, die Menschen, die Dinge
Schauten ihm beim Denken zu.
Ich wurde zu Du.
Meine Flucht ins Innere.
Nichts denken…
Aushalten….
Sich aushalten…
(lange Stille)
Du hast immer nur dich gesehen. weißt du noch, damals im Kaufhof. Du wolltest eine Hose kaufen, keine hat dir gefallen. Du hast alle anprobiert, keine war dir gut genug.
Gut genug!!! Du hast sie dir ja nicht mal angeschaut. Du hast in der Umkleide im Spiegel immer nur dein Profil bewundert.
Ich habe es doch gesehen. Ich habe alles gesehen. Ich sehe Alles.
Aber hast du jemals mich gesehen. Mich, verstehst du? Nicht meinen Körper, sondern wie ich wirklich bin.
Selbst auf der Straße war kein Fenster vor dir sicher. Wie ein Junkie bist du von einem Fenster zu anderen, um ein Stück von dir zu erhaschen…
Heute werde ich dich zur Rede stellen.
Heute, hier und jetzt.
(Er will hinausgehen, bleibt aber stehen, lacht. Geht zum Karton. Schreit in diesen hinein)
Selbst sein, sich finden.
Was für eine Unsinn!
Ja, wo bin ich denn?
Wo bin ich, wenn ich mich gefunden habe?
Hier? Hier? Hier?
(Zeigt auf mehrere Stellen seines Körpers. Schließlich an den Kopf)
Oder hier?
(Stimmungsänderung)
Das Abenteuer, das ist ganz große Abenteuer, sch selbst zu denken.
Wie konnte ein so gemeiner Mensch so schöne Gedanken haben.
Es gab auch schöne Momente: die Reisen
(Nachdenken, dann wie ein Wasserfall)
Ich habe keine Ahnung glaube selbst sein ist nur da sein in der Kiste dem Kopf ja du kannst an allen Zweifeln ja du kannst alles ablehnen du kannst sogar den Zweifel bezweifeln und dann behaupten es wäre die Gewissheit nein mein lieber Freund nein das ist eine große Täuschung der der zweifelt und immer nur zweifelt irgendwann allein weil es das gemeinsame nicht natürlich sagst du ist es eine Lüge…
(beherrscht)
Du findest dich nur im Du!
(liest)
Das Leben ist viel für eine Mikrobe im Wassertropfen. Das Leben ist Nichts für einen, der keine Bezugspunkte mehr hat, wenn die kleine Welt zerplatzt. Vor lauter Haltlosigkeit verliert er sich selbst. Nachts in der Stadt, die schläft und nur Hochöfen leise singen und die Pest der totalen Vervielflung sich zum Unerträglichen steigert und die Bedeutung der Worte in abertausende Stücke zerfiel.(162)
(zu sich)
Kann man Schuld verbüßen?
Für jemanden anderen?
Du hast jedes Vertrauen missbraucht.
Ich höre noch das Leiden, die Einsamkeit.
In die Leere geworfen…
Grausamkeit.
Aber bereuen?
Soll ich bereuen, so gelebt zu haben.
(zum Publikum. Musik. Er singt)
Non, rien de rien
Non, je ne regrette rien
Halten Sie mich mit Ihren Blicken..
Ich falle…
Ohne Ihre Blicke verschwinde ich.
Sie sind meine Präsenz.
(versucht sich zu beruhigen)
Ich bin weg, ich denke nicht mehr.
Bin nur noch Körper, ohne Willen.
OMG.
(zu sich)
Ich nehme deine Schuld auf mich.
Mea culpa mea maxima culpa.
All die Demütigungen…
Zertretenes Glas, Liebe.
Ich habe nicht die Kraft, ihre enttäuschten Blicke.
Ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter meinem Dach…
Aber Sprich! Sprich, doch nur einmal….
(In höchster Panik, Tiefes Luft holen. Langsam beruhigt er sich, dann nimmt er eine Yogihaltung an)
Ganz ruhig mein Freund…
Die Gedanken werden leiser, verlieren an Schärfe, kein Schnitt, keine Wunde mehr möglich.
Keine Schuld, kommen Sie näher, seien Sie nahe und füllen Sie mich mit Ihren Gedanken.
Halten Sie mich.
Sie und Sie und Du…
Seien Sie mein Gast….
(Tiefes Einatmen)
Oh, mein Gott, tut das gut…
Mehr, mehr, tiefer, mutiger, unmoralischer
Oh mein Gott, tut das gut….
(Hält plötzlich inne schaut ins Publikum)
Da! Da!
Da driften wieder welche weg.
Nehmen das nicht ernst!
Sie da! Gehen Sie doch nach Hause!
(er bleibt sehr lange in sich gekehrt, das Licht wird dunkel, bevor es ganz aus ist)
JETZT, JETZT….JETZT
Ich fülle es. Fülle es aus.
Die unendliche Leere.
Jetzt bin ich du.
Du bist Ich.
Ich bin Du.
(blackout)
Ach!
Ende