Die historischen Daten
Das 16. Jahrhundert ist in
Europa geprägt durch die Krise des mittelalterlichen Feudalsystems. Sie drückt
sich in drei Phänomenen aus:
1. der Auseinandersetzung zwischen
feudalen Partikularkräften (Kronvasallen) und Zentralmacht (Krone);
2. den wirtschaftlichen Umwälzungen auf dem Gebiet der
Produktion (Beginn frühkapitalistischer Produktion) und des Handels
(Verlagerung des Schwerpunktes nach Nordwest-Europa: Niederlande, England);
3. der damit verbundenen wachsenden
Bedeutung des Bürgertums, die sich in den religiösen Auseinandersetzungen des
Jahrhunderts spiegelt.
Das
Leben der schottischen Königin Maria vollzieht sich in diesem
spannungsgeladenen Raum und wird von der Krise des Jahrhunderts zerstört (zur
Biographie Maria Stuarts von Schottland vgl. die wissenschaftlich fundierte,
lebendige, mit viel kultur- und sozial-geschichtlicher Anschaulichkeit
geschriebene Darstellung von Antonia Fraser 1971)
8. 12.1542 |
Maria Stuart in Linlithgow geboren. Vater: Jakob V., König von Schottland. — Mutter: Maria von Guise aus Frankreich, Schwester des Herzogs von Guise und des Kardinals von Lothringen. Sieben Tage nach Marias Geburt stirbt Jacob V.; Maria Stuart wird Königin von Schottland; ein Regent vertritt sie. In England regiert Heinrich VIII. Stuart, in Frankreich Heinrich II. Valois; im Reich kämpft Karl V. mit den Auswirkungen der Reformation. |
1543 |
Maria Stuart wird im Alter von neun Monaten gekrönt. |
1548 |
Maria Stuart reist nach Frankreich. Obwohl sie erst 51/2 Jahre alt ist, bleibt ihre Mutter in Schottland, um ihre Rechte zu wahren. Maria ist die Braut des 1544 geborenen Dauphin Franz und soll mit ihm zusammen erzogen werden: ihre Ausbildung in Frankreich wird von ihren einflußreichen Verwandten überwacht und orientiert sich daran, daß sie später regieren soll. Sie gilt als aufgeweckt und klug, faßt leicht auf und genießt schon als Kind den Ruf außerordentlicher Schönheit. |
1558 |
Maria Stuart heiratet den Dauphin. Sie und ihr Mann führen von nun an auch das englische Wappen und den englischen Königstitel, denn Königin Mary 1. von England (vgl. Thronfolge-Tafel, s. u., 5. 35) stirbt 1558, und Maria Stuart hat als Urenkelin Heinrichs VII. Tudor nach dynastischem und geblütsmäßigem Gesichtspunkt einen legitimen Anspruch auf den englischen Thron vor Elisabeth 1., die nach kanonischem Recht als Bastard gilt und von Frankreich nicht anerkannt wird (vgl. aber: Thronfolge-regelung, s. u., 5. 34). Der Herzog von Guise entreißt England den letzten Stützpunkt auf dem Kontinent: Calais wird nach über 200 Jahren wieder französisch.In Schottland kommt es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen katholischen und protestantischen Lords. Elisabeth I. unterstützt die Protestanten mit englischen Truppen und Geld. Marias Mutter, die inzwischen Regentin geworden ist, erhält militärische und finanzielle Hilfe aus Frankreich. |
1559 |
Heinrich II. von Frankreich stirbt durch einen Lanzenstich ins Auge bei einem festlichen Turnier; Maria Stuart wird an der Seite ihres Mannes Franz II. Königin von Frankreich. |
9. 7.1560 11.8. 5. 12. |
Edinburger Vertrag: er beendet den schottischen Bürgerkrieg. Englische und
französische Truppen verlassen das Land, aber das französische Königspaar
unter-schreibt nicht, weil der Vertrag auch den Verzicht auf das englische
Wappen und den Titel enthält. Confessio Scotica: in Schottland wird der Protestantismus durch
Parlamentsbeschluß eingeführt. Innenpolitische Bedeutung: Königin Maria
Stuart wird vor vollendete Tatsachen gestellt,ihre Rechte werden übergangen.
Als überzeugte Katholikin hat sie die Confessio nie bestätigt.
Außenpolitische Bedeutung: Elisabeth I., protestantische Herrscherin des
Nachbarlandes, wird automatisch zur Schirmherrin des Protestantismus in
Schottland. König Franz II. stirbt, Maria Stuart wird Witwe und verliert nach französischem Recht den französischen Thron; sie ist noch nicht 18 Jahre alt. Da kurz darauf auch ihre Mutter stirbt, entschließt sich Maria zur Rückkehr nach Schottland, wo allein sie eine politische Zukunft hat. Sie gilt jetzt als die "schönste Fürstin Europas". |
August 1561 |
Maria Stuart kehrt nach l3jähriger Abwesenheit nach Schottland zurück. In Verhandlung mit dem protestantischen Regenten Schottlands, ihrem Halbbruder Lord James Stuart, hat sie zugesichert, nicht gegen den Protestantismus vorzugehen. Im Gegenzug wurde ihr erlaubt, für sich privat die Messe lesen zu lassen. Politischen Aktivitäten sind demnach enge Grenzen gesetzt. Mehr Spielraum kann Maria mit ihrem 25. Geburtstag erhoffen, wenn die von den Vasallen verwalteten Besitztümer endlich an sie zurückfallen. Einstweilen richten sich ihre Interessen auf dynastische Fragen, 1. auf eine zweite Heirat, um die schottische Thronfolge zu sichern, 2. auf die Anerkennung ihres Thronanspruchs in England, jetzt allerdings als Nachfolgerin Elisabeths, falls diese ohne eigene Nachkommen sterben sollte. Korrespondenz und Verhandlungen mit Elisabeth werden lebhaft geführt. Der Vertrag von Edinburgh ist immer noch nicht unterschrieben.Von protestantischer Seite wird Marias Lebensstil häufig kritisiert, weil sie Musik, Tanz und Schauspiel liebt. Ihr Lebenswandel ist einwandfrei, ihre Sexualmoral eher puritanisch zu nennen. Bereits zeitgenössische Berichterstatter und Geschichtsschreiber haben sie dennoch als leidenschaftlich, sinnlich und männerverschlingend darzustellen versucht. |
29. 9.1565 |
Maria Stuart heiratet zum zweiten Mal, ihr Mann wird der 1546 geborene Henry Stuart, Lord Darnley, Marias Kousin. Diesmal handelt es sich um eine Liebesheirat, die zugleich politisch und dynastisch motiviert ist. Maria glaubt, mit Ehisabeths Einverständnis zu handeln: Lord Darnley ist englischer Staatsbürger und kam mit Ehisabeths Erlaubnis nach Schottland. Dynastisch sichert die Heirat den englischen Thron-anspruch Marias: als Urenkel Heinrichs VII. Tudor und englischer Bürger hat auch Darnley legitime Ansprüche (siehe Genealogie).In Schottland schwächt die Heirat Marias Position weiter: Darnley ist Katholik, man befürchtet eine Wende in der Innenpolitik. Marias Halbbruder James, jetzt Earl of Moray, protestiert gegen die "katholische" Ehe und setzt sich nach England ab, andere Adlige folgen oder werden von Maria verbannt. Zur selben Zeit beginnt Maria, bürgerliche Berater heranzuziehen. Ihre Ehe erweist sich als wenig erfolgreich, König Henry beteiligt sich selten an Regierungsgeschäften und geht lieber Vergnügungen nach. — Maria beruft das Parlament für März 1566 ein; sie will über die widersetzlichen Lords beraten lassen,offenbar plant sie, deren Landbesitz zu konfiszieren. |
9.3.1566 |
Marias Sekretär Riccio fällt einer Adelsverschwörung zum Opfer, an der sich auch König Henry aus (unbegründeter) Eifersucht beteiligt. Maria selbst wird gefangengenommen, ihr Mann soll allein König werden; das Parlament wird aufgelöst. Doch Maria kann ihren Mann wieder auf ihre Seite ziehen und mit ihm fliehen; dann vertreibt sie die Attentäter, scheint aber zu ihrer früheren Politik einer Duldung des Protestantismus zurückzukehren.Drei Monate später wird ihr Sohn Jakob geboren. Die protestantischen Lords kehren mit der Zustimmung der Königin ins Land zurück. Maria erwägt Möglichkeiten der Trennung von ihrem Mann. Sie stützt sich dabei zunehmend auf den Grafen Bothwell, der ihr eine zuverlässige Stütze ihres monarchischen Anspruchs scheint. |
9/10.2.1567 |
König Henry wird das Opfer einer weiteren Adelsverschwörung: das Gebäude, in dem er sich aufhält,
wird mit großem Aufwand in die Luft gesprengt, der König aber erdrosselt im
Garten gefunden. Maria Stuart glaubt an einen Anschlag auf ihr eigenes Leben,
da sie sich kurz vorher in dem Haus aufhielt. Deshalb stützt sie sich noch
mehr auf Bothwell, obwohl sein Name bald als der eines der Verschwörer
genannt wird. April: Nach
seinem Freispruch bemächtigt sich Bothwell per Handstreich der Königin und
entführt sie — vermutlich mit ihrem Einverständnis. Daß er sie vergewaltigt
hat, um ihr jeden Rückzug abzuschneiden, erscheint heute als relativ
gesichert. Die Hochzeit findet im Mai nach protestantischem Ritus statt;
vermutlich war die Königin schwanger (sie hatte drei Monate später eine
Fehlgeburt). Ihre übereilte Heirat untergräbt ihren Ruf. Auch diese Ehe ist
nicht glücklich: Bothwells Liebe enthüllt sich schnell als Machtgier, Maria
hingegen scheint völlig abhängig von ihm zu sein. Juni: Eine neue Adelserhebung führt zu Marias Gefangennahme. Bothwell gelingt die Flucht. Maria aber wird von denselben Lords, die an der Ermordung ihres Mannes beteiligt waren, der Mitwisserschaft an diesem Verbrechen angeklagt und zur Abdankung zugunsten ihres einjährigen Sohnes gezwungen. Moray wird erneut Regent, was neben der politischen Macht erheblichen materiellen Nutzen bedeutete. — Im Dezember wäre Maria 25 Jahre alt geworden und damit in den Besitz der Kronländer gekommen; die Minderjährigkeit ihres Sohnes sichert dem schottischen Adel weitere Nutznießerschaft an diesen Gütern. |
1568 |
Maria Stuart gelingt die Flucht nach England; sie wartet die Gewährung eines Asylgesuches nicht ab und liefert sich damit der englischen Königin aus. Maria geht davon aus, daß Elisabeth ihr wieder zu ihrem schottischen Thron verhelfen wird. Die englische Königin aber verhandelt mit den protestantischen Lords und dem Regenten. In diesem Zusammenhang spielen die sogenannten "Kasettenbriefe" eine entscheidende Rolle, die Marias Mitwissen am Mordplan gegen ihren zweiten Mann bestätigen; sie gelten heute als Fälschung. Für Elisabeth ist das Jahr 1568 ein Glücksjahr, da es zwei Anwärter auf den englischen Thron ausschaltet: Catharin Grey stirbt, und Maria Stuart begibt sich freiwillig in ihre Hand. |
1568— 1587 |
Maria Stuart bleibt in englischer Gefangenschaft. In diesem Zeitraum steht sie in dauerndem Briefwechsel mit Elisabeth, dem französischen und spanischen König und ihrer französischen Verwandtschaft. Immer wieder bittet sie Elisabeth um ein persönliches Gespräch, aber es kommt nie zu einer Begegnung. Marias Person wird zum Ausgangspunkt zahlreicher Adelsverschwörungen, unter denen die des britischen Hochadels im wirtschaftlich weniger entwickelten Norden Englands (1569/72) die wohl bedeutendste war — der letzte Versuch, den Katholizismus wieder durchzusetzen und den Zentralismus der Krone zu vernichten. An der Spitze dieser Verschwörung stand Thomas Howard, Herzog von Norfolk, der Maria Stuart heiraten wollte.Über ihr Schicksal entschied die Verschwörung des jungen Sir Anthony Babington (1586), die allerdings vom englischen Geheimdienst von Anfang an überwacht und durch eingeschleuste Agenten vorangetrieben wurde. |
November 1586 |
Maria wird zum Tode verurteilt. Eine Hinrichtung lag besonders im Interesse der englischen Protestanten; 1585 war auf Drängen des Unterhauses von Parlament und Krone endlich ein Gesetz verabschiedet worden, das für eine Verurteilung Maria Stuarts die juristische Grundlage bildete. Elisabeth wartete jedoch drei Monate mit der Unterschrift, obwohl sich das Parlament mit Petitionen an sie wandte. Erst als der englische Geheimdienst im Januar 1587 erneut einen — wohl selbst inszenierten — Anschlag auf Elisabeth "entdeckte", unterschrieb die englische Königin. |
8.2. 1587 |
Hinrichtung Maria Stuarts in Fotheringhay. |
Ein Jahr später besiegt die
englische Flotte die spanische Armada; Englands Aufstieg zur Seemacht beginnt.
Die holländischen Niederlande erkämpfen ihre Unabhängigkeit von Spanien und
werden zur ersten "bürgerlichen" Macht in Europa. In Frankreich
beginnt mit Heinrich IV. (von Navarra) das Königtum der Bourbonen (1589). Im
Reich hat sich seit rund dreißig Jahren der Protestantismus neben dem
Katholizismus durchgesetzt (1555). Kaiser Karl V. hat abgedankt, das Habsburger
Reich ist geteilt (1556); die deutschen Fürstentümer haben weitere souveräne
Rechte gewonnen. In England beerbt 1603 Maria Stuarts Sohn ihre Kontrahentin
und vereinigt als Jacob 1. die drei Kronen der britischen Inseln zu einer
Nation: der Weg in den Nationalstaat und zum Absolutismus ist frei. Auch die Könige
des zur Zeit regierenden Hauses Windsor zählen Maria Stuart zu ihren
Stamm-Müttern.
Quelle:Hans Peter Herramm,
Martina Herrmnan, F.Schiller: Maria Stuart, Moriz Diesterweg 1989